Mo 18. Mär 2019, 09:43 von hannes
Para-Eishockey Die Kunst ist es, Hürden zu überwinden
Es dauert ein wenig, bis alle Spieler an diesem Tag auf dem Eis sind. Nach und nach bahnen sich die Angry Birds ihren Weg von der Umkleidekabine Nummer drei bis zur Eisfläche zwei der Eissporthalle am Glockenturm. Bei einem Para-Eishockeyspieler braucht es eine Weile, bis er sich auf dem Schlitten angeschnallt hat; Torhüterin Julia Rojahn dagegen gleitet als eine der Ersten fertig durch die Arena, die überdacht, aber an der Seite offenen Eisfläche ist. Schon muss Julia Rojahn den Puck parieren. In ihrem Schlitten kippt sie zur Seite und wieder zurück. Eine Übung, die sie mehrfach wiederholt. Feldspieler drehen ihre Runden. Es geht los.
An diesem Montagabend haben sich acht Spieler zum Training vor den beiden letzten Saisonspielen der Para-Eishockey-Bundesliga versammelt. Auch Christian Pilz. Der 35-Jährige ist extra aus Dresden angereist und eigentlich Spieler bei den Dresden Cardinals. Doch die meisten Teams haben Probleme, ihren Kader für die Bundesliga zu komplettieren. Deshalb spielen die Dresdner gemeinsam mit Spielern aus Dachau und Berlin in einer Mannschaft. Und weil in den Vereinswappen jeweils ein Vogel enthalten ist, war ein Name schnell gefunden: Angry Birds, böse Vögel.
Pilz scheint Angry Birds nicht zu gefallen, das verrät sein Blick, wenn er darauf angesprochen wird. Obwohl er auf dem Eis auch mal böse werden kann, wie er sagt: „Don’t touch my Goalie.“ Eine goldene Regel. „Wenn jemand mit dem Schlitten auf unsere Torhüterin fährt, dann kann ich auch mal austeilen“, sagt Pilz. Wie im Eishockey gibt es also auch im Para-Eishockey handfeste Meinungsverschiedenheiten.
Mit Tempo 30 Richtung Tor
Wie im Eishockey zählt am Ende die sportliche Leistung. Mit der hat es Christian Pilz zum Nationalspieler gebracht. Im Trikot der deutschen Auswahl kurvt er nun über das Eis. Nicht ganz so schnell, wie ein Spieler auf Schlittschuhen, doch bis zu 30 Kilometer pro Stunde seien immerhin möglich, sagt Pilz – und zum Beweis jagt er mit seinem Schlitten durch die Arena.
Normalerweise trainiert Pilz zweimal pro Woche, meistens in Dresden. Bei seinen Einsatzzeiten ist Fitness sehr wichtig. Am vergangenen Spieltag hat er in einer Partie sogar die volle Dauer von dreimal 15 Minuten absolviert.
Nicht jeder hält das Tempo durch. Gregor Kemper sagt: „Nach zwei Minuten auf dem Eis könnten sie mich runtertragen.“ Er lächelt. Kemper ist Abteilungsleiter des Para-Eishockey-Teams, das zum ECC Preussen Berlin gehört. Ohne ihn würde es die Abteilung heute nicht mehr geben. „Vor drei Jahren hatten wir überlegt, ob wir ein neues Team schaffen“, sagt der 49-Jährige, „außer der Idee gab es aber damals nichts.“
Gut vorbereiten, erfolgreich spielen: Christian Pilz ist vor dem Training gut gelaunt.
Lediglich ein Spieler der vorherigen Mannschaft konnte reaktiviert werden. Kemper selbst ist nicht behindert, setzte sich aber ebenfalls auf einen Schlitten, um den Kader zu verstärken. „Wir haben hier die volle Bandbreite, es ist ein voll inklusiver Sport“, sagt er. Jeder kann mitmachen, egal, ob behindert oder nicht, niemand wird ausgegrenzt. Im Para-Eishockey sind alle Spieler am Ende sowieso gleich. Jeder wird auf dem Schlitten festgemacht, keiner hat einen Vor- oder Nachteil.
Berlin will die WM
Endspurt: In der Arena am Glockenturm starten die Angry Birds am Sonnabend (15 Uhr) gegen Hannover in einen Doppelspieltag. Um 17.30 Uhr stehen sich Bremen und TuS Wiehl gegenüber. Am Sonntag spielt um 8.30 Uhr Hannover gegen Bremen, um 11 Uhr sind die Angry Birds gegen Wiehl dran. Der Eintritt ist frei.
Event: Im November könnte die Eissporthalle in Charlottenburg der Austragungsort eines anderen Großereignisses sein. Berlin hat sich um die Ausrichtung der Para-Eishockey-WM beworben. Die deutsche Hauptstadt hat Erfahrung mit internationalen Events im Parasport. So fand 2107 die EM im Blindenfußball in Berlin statt.
Engagement: Die Bezirks-Sportstadträtin von Charlottenburg-Welmersdorf, Heike Schmitt-Schmelz, hat ihre Unterstützung signalisiert. Sie ist bereit, die Arena für zwei Wochen für die Weltmeisterschaft zu sperren. Eine Entscheidung über die Ausrichtung der WM in Berlin soll bereits an diesem Freitagabend fallen.
Ursprünglich lief die Sportart unter dem Namen Sledge Hockey, damit sie allerdings zum paralympische Programm gehören kann, wird die Bezeichnung Para-Eishockey verwendet. Wer diesen Sport ausübt, muss Hürden nehmen, muss gut darin sein, Lösungen zu finden. Das wissen auch die Berliner Angry Birds. „Es war schwierig, erst einmal eine Trainingszeit zu bekommen“, sagt Kemper. Ihn hat Sportstadträtin Heike Schmitt-Schmelz vom Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf dabei tatkräftig unterstützt. Sie haben einen Termin in der Eissporthalle am Glockenturm bekommen. Am kommenden Wochenende steht die Halle für die letzten Saisonspiele der Bundesliga zur Verfügung. Das sei alles andere als selbstverständlich, sagt Kemper.
Manchmal ist das Überwinden von Hürden wörtlich zu nehmen. Bei der Buchung von Hotelzimmern, wenn sie auswärts antreten. Die Berliner mussten schon die Erfahrung machen, dass ein als barrierefrei ausgewiesenes Hotel Probleme hatte, mit einem Rollstuhl zugängliche Zimmer bereitzustellen.
Chancen auf Platz zwei
Doch die Probleme des Alltags schrecken Gregor Kemper nicht ab. Der Erfolg gibt ihm recht. Mit fünf Spielern hat er angefangen, mittlerweile sind es zwölf. Auch sportlich ging es bergauf: In der Saison 2016/2017 wurde lediglich trainiert, 2017/2018 endete für die Spielgemeinschaft in der Bundesliga mit nur einem Sieg auf dem letzten Platz. Diesmal haben die Angry Birds immerhin schon vier Spiele gewonnen und vor den abschließenden beiden Partien noch die theoretische Chance auf Platz zwei in der Meisterschaft mit ihren vier Teams. Zwei Siege gegen den bereits feststehenden Deutschen Meister TuS Wiehl und den Tabellenzweiten Hannover sind dafür aber Pflicht.
Das ist die Theorie, in der Praxis wollen sich die Angry Birds vor eigenem Publikum noch einmal von ihrer besten Seite präsentieren. Wie stets. „Ich möchte immer gewinnen“, sagt Christian Pilz. Dafür nimmt der Nationalspieler auch Blasen an den Fingern in Kauf. Die Handschuhe, die sie beim Para-Eishockey tragen, sind daran schuld. Blessuren nach Checks gehören ebenfalls dazu. Genau wie der Bart bei Eishockeyspielern.
Auch Christian Pilz, der nicht nur Spieler, sondern auch Trainer der Angry Birds ist, trägt einen mächtigen Bart. Seit zweieinhalb Jahren lässt er ihn wachsen, ab und an wird er von einem Barbier in Form gebracht. Nach der verpassten Qualifikation mit der Nationalmannschaft für die Paralympics hat er die Pracht wachsen lassen. „Wenn wir es zu den nächsten Paralympics schaffen, kommt er ab“, sagt er. 2022 findet das Turnier in Peking statt. Und vielleicht wird sich bis in drei Jahren auch der Standort Berlin so entwickelt haben, dass er einen zweiten Nationalspieler stellt.
Berliner Zeitung