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Vergessene Meister aus Berlin
Sie waren die Größten auf dem Eis
In unserer Serie „Vergessene Berliner Meister“ stellen wir Berliner Vereine vor, die einst Größen in der deutschen Sportlandschaft waren. Im ersten Teil widmen wir uns dem Berliner Schlittschuh-Club.
Schweiß, Bierdunst, Zigarettenqualm – so roch Eishockey im Berliner Sportpalast in den Sechzigerjahren. Die Stimmung auf den Tribünen kochte schnell, wenn die Spieler den Puck über das Eis jagten. Der renommierte Berliner Journalist Jochen Sprentzel erinnert sich an seine ersten Einsätze als Eishockeyreporter in der Arena an der Schöneberger Pallasstraße im Jahr 1969. „Die Stimmung war unglaublich, der Schlittschuh-Club war damals eine große Marke in Westberlin.“ Und das Reporterleben war beim Eishockey gefährlicher als heute. „Ich saß als Reporter auf der Strafbank und einmal sauste ein Puck nur um Millimeter an meinem Kopf vorbei“, erinnert sich Sprentzel.
Es ist nur eine kleine Episode in einer langen Vereinsgeschichte, der Schlittschuh-Club wurde bereits 1893 gegründet und ist bis heute mit 19 nationalen Titeln deutscher Rekordmeister im Eishockey.Der Club war Wegbereiter für den Eishockeysport in Deutschland und zum Teil auch Kontinentaleuropa und sein letztes großes Kapitel begann im Sportpalast und endete in der Eissporthalle Jafféstraße, beide Hallen gibt es längst nicht mehr.
Die Marke Schlittschuh-Club sollte ein paar Jahre nach Jochen Sprentzels erstem Spiel als Reporter im Sportpalast noch größer werden, in den Sechzigerjahren hatte nur die Düsseldorfer EG die Dominanz der bayerischen Klubs aus Garmisch (der SC Rießersee), Bad Tölz und vor allem des EV Füssen einmal unterbrechen können (mit dem Titelgewinn 1972), bis sich dann Anfang der Siebziger in Berlin etwas bewegte: Die Eishockeyabteilungen von Hertha BSC und dem BFC Preussen wurden aufgelöst und die besten Spieler kamen zum Schlittschuh-Club, der sich aber – und das war der entscheidende Punkt – eben auch in Bayern bediente.
Prominentester Spieler des Clubs sollte Lorenz Funk werden. Der junge Stürmer war sich 1972 noch etwas unsicher über den damals ungewöhnlichen Wechsel von Bayern nach Berlin. „Ich hatte zwar schon viel erlebt mit Bad Tölz, war aber etwas wehmütig und hatte zunächst Heimweh“, hat Funk mal erzählt. „Im Nachhinein war es aber das Beste, was ich für meine Karriere machen konnte.“
Nach dem Abriss des Spotpalastes im Jahr 1971 spielte die Mannschaft im Eisstadion Neukölln, es gab nur Stehplätze und kein Dach. Wenn es schneite, mussten die Bundesligaspiele unterbrochen werden. Dann wurde das Eis gefegt. „Es tat der guten Stimmung keinen Abbruch“, erzählt der ehemalige RBB-Sportchef Jochen Sprentzel.
Schließlich kam bald die neue Halle an der Jafféstraße, die dann allerdings, wie der „Spiegel“ bei ihrer Eröffnung im Herbst 1973 schrieb, „zu klein“ war mit ihren gut 6000 Zuschauerplätzen: Doch hier sollte der Club seine größten Erfolge feiern, die, wie einer der damaligen Verteidiger heute findet, „gekauft waren“. Denn wie Lorenz Funk war auch der junge Tölzer Hans Zach mit anderen bayerischen Spielern von Bad Tölz nach Berlin gewechselt. Der spätere Bundestrainer Zach war allerdings nicht so eine große Nummer im Team wie Ferenc Vozar und dessen Bruder Tibor oder eben vor allem Lorenz Funk.
Der junge Funk, 25 Jahre alt, als er 1972 nach Berlin wechselte,hatte vor seinem Debüt als Spieler beim Berliner Schlittschuh-Club schon viel erlebt. Mit 19 Jahren war er mit dem EC Bad Tölz Deutscher Meister geworden. Und doch sollte das letzte große Kapitel des Clubs auch zu seinem wichtigsten als Spieler werden: Mit dem Team wurde Funk 1974 und 1976 unter Trainer Xaver Unsinn Deutscher Meister und auch mit der Nationalmannschaft erlebte der kantige Stürmer in dieser Zeit unter Bundestrainer Unsinn den Gewinn der Bronzemedaille.
Im Jahr 1982 verließ Funk den Schlittschuh-Club wieder nach zehn Jahren, denn der Club hatte sich im selben Jahr aufgrund finanzieller Schwierigkeiten aus der Bundesliga verabschiedet.
1908 bestritt der Club sein erstes Eishockeyspiel
Im Verein wurden Tennis und Eishockey gespielt, was durchaus üblich war und bis heute etwa in Tschechien noch üblich ist. Eine Eisfläche kann im Sommer gut für zwei Tennisfelder genutzt werden, daher die große Affinität einiger tschechischer Tennisstars zum Eishockey.
Der Club hatte schon vor dem Zweiten Weltkrieg sein Multitalent: Gustav Jaenecke, der Charlottenburger, spielte von 1923 bis 1944 für den Club, wurde mit ihm fünfmal Meister, einmal in einer Spielgemeinschaft mit dem SC Brandenburg. Zudem wurde „König Justav“ 1932 Deutscher Tennismeister und kam fünfmal im Davis-Cup-Team zum Einsatz (Gegner: Italien, Japan, Ägypten). Zeitweise spielte Jaenecke auch als Doppelpartner des dreimaligen Wimbledon-Finalisten Gottfried von Cramm, mit dem er befreundet war.
Multitalent Jaenecke spielte als linker Außenstürmer oder auch als Verteidiger und blieb oftmals über die volle Spielzeit auf dem Eis. Damals gab es im Eishockey noch keine Auswechslungen und das Spiel war weit weniger dynamisch als heute. Der Berliner galt als einer der besten Spieler Europas. Aber es gab noch viele andere bekannte Spieler, die das frühe deutsche Eishockey prägten, darunter neben Jaenecke auch Rudi Ball, der mit Unterbrechungen von 1928 bis 1944 für den Club spielte und in seiner Karriere mehr als 500 Tore erzielte.
Der letzte große Wiederbelebungsversuch des Clubs fand in den Neunzigern statt, mit prominenten Ex-Erstliga-Spielern wie Torwart René Bielke, Torsten Deutscher oder Heiko Awizus. Unter Trainer Lutz Schirmer, 1976 schon Meister mit dem Club, und neben Bielke anderen ehemaligen Profis der Eisbären oder Capitals spielte der Verein drittklassig (damals zweite Liga Nord) im Eisstadion Wedding und kratzte auch am Aufstieg in die Zweitklassigkeit. Doch daraus wurde nichts, in den Play-offs war gegen Braunlage für den Club Schluss und da schallte das „Schli-Schuh-Schuh-Schuh…“ ein letztes Mal durch die Halle.
Am Ende der Saison 1996/1997 war aufgrund finanzieller Probleme das Unternehmen Höhenflug dann auch beendet, die Spieler hatten lange ohne Gehalt durchgehalten, aber nun war auch Schluss. Damals konnte sich keine dritte Kraft hinter den Klubs der Deutschen Eishockey-Liga, den Eisbären und Berlin Capitals, etablieren.
Der ehemalige Nationaltorhüter René Bielke erinnert sich: „An sich war der Club als Auffangbecken für Berliner Spieler, die es nicht bis in die DEL geschafft hatten, eine sehr sinnvolle Sache.“ Mit einem Benefizspiel gegen ein imaginäres Team DDR hatten René Bielke und Mitstreiter*innen noch einmal Geld für den Club gesammelt. Doch das reichte nicht, finanziell lief es nicht, ein typisches Phänomen des unterklassigen Eishockeys in Deutschland, sagt Bielke: „Wenn du übers Land fährst, dann sind eben immer ein paar Schlaglöcher dabei.“
Es war der letzte größere Akt in der Club-Geschichte: 2007 wurde der Verein aufgelöst. 2020 wurde er wiederbelebt, die Namensrechte wurden von der insolventen Tennisabteilung gekauft. Inzwischen gibt es auch zwei Teams in der Berliner Landesliga, Nachwuchsteams, Eiskunstlauf und Darts im Programm.
Was bleibt, ist die große Geschichte, an der auch die Eisbären Berlin mit ihren neun Meistertiteln nicht vorbeikommen – obwohl sie zuvor als SC Dynamo 15 Mal DDR-Meister wurden und sich daher auch mal als Rekordmeister sehen.
Aber genau genommen gibt es diesen Verein nicht mehr: An den 19 Meistertiteln des Berliner Schlittschuh-Clubs kommt also zumindest im gesamtdeutschen Eishockey so schnell keiner vorbei.
Der Schlittschuh-Club wurde zwischen 1912 und 1976 19 Mal Deutscher Meister im Eishockey. Im ersten Finale von 1912 gab es ein 2:1 nach Verlängerung gegen den SC Charlottenburg für den Club im Eispalast in der Martin-Luther-Straße in Schöneberg.
Claus Vetter