CHAMPIONS-SERIE
Julia Klaenfoth-Rojahn ist gar nicht behindert, kann aber beim Para-Eishockey mitspielen.
Berlin. Nie im Leben käme Julia Klaenfoth-Rojahn auf die Idee, sich freiwillig in Schlittschuhen aufs Eis zu begeben. Geschweige denn, Eishockey zu spielen. „Ich habe panische Angst davor“, sagt sie und muss selbst lachen, „da bin ich akut sturzgefährdet.“ Beim Para-Eishockey hat sie dieses Problem nicht. Bei dieser paralympischen Sportart bewegen sich die Spieler nicht auf Schlittschuhen, sondern auf kleinen Schlitten fort, in denen sie sitzen. Zur Beschleunigung nutzen sie zwei kurze Schläger, die am Ende mit Spikes besetzt sind; gelenkt wird durch Verlagerung des Gewichts.
Schwerstbehinderte flitzen über das Eis
Es ist schon faszinierend, wie auf diese Weise auf einmal selbst Schwerstbehinderte über das Eis flitzen. Von diesem Sonntag an bis Freitag kann man sich bei der B-WM in der Eissporthalle Charlottenburg selbst ein Bild davon machen. Die Gastgeber kämpfen dort gegen China (Sonntag, 19 Uhr), Polen, Großbritannien, die Slowakei und Russland um einen der beiden Aufstiegsplätze in die A-Gruppe.
Zum ersten Mal wird eine Weltmeisterschaft in Deutschland ausgetragen. „Das ist eine riesige Chance für unsere Sportart“, meint Julia Klaenfoth-Rojahn. Sie selbst hat keine Behinderung und hatte deshalb auch keine Chance, für das Nationalteam nominiert zu werden. Nur im nationalen Bereich dürfen, ähnlich wie beim Rollstuhlbasketball, auch Spieler ohne körperliche Beeinträchtigungen mitspielen. Da gleichzeitig Frauen und Männer gemeinsam antreten, ist Para-Eishockey wohl die Wintersportart, bei welcher der Inklusionsgedanke am meisten gelebt wird.
Die meisten Regeln wie beim Eishockey
Vor ein paar Jahren war Klaenfoth-Rojahn dem Ruf eines Freundes gefolgt, der dringend noch Mitspieler suchte, weil ansonsten die Eiszeit für seine Para-Eishockeymannschaft weggefallen wäre. Damals hieß die Sportart noch Sledge-Eishockey, also Schlitten-Eishockey. Sie hatte bis dahin noch keinerlei Berührungspunkte mit dem Eishockey gehabt, doch sie tat ihm den Gefallen und merkte schnell, dass ihr die Sportart großen Spaß machte. Anfangs war sie noch als Feldspielerin aktiv, später wechselte sie jedoch ins Tor. In der Bundesliga ist die Neuköllnerin heute die einzige Torhüterin und war bis vor einem Jahr sogar die einzige Frau überhaupt.
Für die 32-Jährige ist der Posten im Tor eine große Herausforderung. Die Pucks fliegen bei der paralympischen Variante ähnlich schnell wie beim normalen Eishockey. Julia Klaenfoth-Rojahn hat schon erlebt, wie ein Helm davon zu Bruch ging. „Die meisten Spieler sind Rollstuhlfahrer, die ihr ganzes Leben lang fast alles mit den Armen machen und dort entsprechend Muskeln aufbauen. Sie können deshalb eine ganz andere Kraft entwickeln“, erklärt sie. Überhaupt entsprechen das Spielfeld und die meisten Regeln denen des Eishockeys. Lediglich die Spielzeit ist mit dreimal 15 Minuten etwas kürzer.
Viele Faustkämpfe locken Zuschauer an
Auch Bodychecks sind beim Para-Eishockey erlaubt, sogar Faustkämpfe gibt es, weshalb die Sportart bei den Paralympischen Winterspielen stets gut besucht ist. Julia Klaenfoth-Rojahn hat schon häufiger erlebt, dass sich die Männer wegen ihr prügeln. Sobald einer der Gegenspieler sie etwas zu hart angeht, knöpfen ihre Mitspieler ihn sich vor. Meistens geht es jedoch friedlich zu. „Die Gemeinschaft zwischen den Klubs ist großartig“, sagt sie. Einmal bekam sie sogar noch während des Spiels Tipps vom gegnerischen Torwart, was sie an ihrem Auftritt noch verbessern könnte.
Trotzdem hat die Berlinerin auch unschöne Erfahrungen gemacht. Sie hat mehrere Knochenbrüche hinter sich und wäre vor zwei Jahren auf dem Eis sogar beinahe erstickt, als ihr der Puck während eines Spiels in Dresden gegen den Kehlkopf prallte.
Drei Wochen war der Kehlkopf geschwollen
Drei Wochen lang konnte sie danach nicht sprechen, weil der Kehlkopf geschwollen war. Damals spielte sie noch für den ECC Preussen. In diesem Jahr haben die Para-Eishockeyspieler der Hauptstadt jedoch einen eigenen Verein gegründet: den Para-Eishockey Club Berlin. In der Bundesliga treten sie in einer Spielgemeinschaft zusammen mit Freiburg an.
„Wir sehen uns nur zu den Spieltagen“, sagt Klaenfoth-Rojahn. Seit der Saison 2000/01 findet in Deutschland ein regulärer Ligaspielbetrieb statt. Spielgemeinschaften sind dabei nicht ungewöhnlich, denn im ganzen Land gibt es nur acht Vereine, die Para-Eishockey anbieten – darunter ist kein einziger Vertreter aus der Deutschen Eishockey-Liga (DEL). Das Problem: Nur wenige Hallen sind so konzipiert, dass die Para-Eishockeyspieler vom Eis direkt auf die Ersatz- beziehungsweise Strafbank kommen. Für die B-WM wurde nun die Charlottenburger Eissporthalle entsprechend angepasst. Davon profitieren in Zukunft auch Julia Klaenfoth-Rojahn und der Para-Eishockey Club Berlin.Statistik: Verfasst von hannes — So 17. Nov 2019, 10:15
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